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Chefköche im Rollstuhl – die Erfolgsgeschichten
Porträts & Geschichten

Chefköche im Rollstuhl – die Erfolgsgeschichten

Behinderung spielt eine Rolle, doch der Ehrgeiz ist entscheidend

Behinderung spielt eine Rolle, doch der Ehrgeiz ist entscheidend

Nach einer Rückenmarksverletzung wieder arbeiten zu gehen, ist für viele ein Kampf. Betroffenen fällt es häufig schwer, ihren früheren Beruf wieder aufzunehmen, da sich ihre körperlichen Fähigkeiten verändert haben. Fehlende soziale Unterstützung und falsche Vorstellungen von Arbeitgebern in Bezug auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung erschweren es ihnen zusätzlich, wieder ihrem Beruf nachzugehen.

Aber wie heisst es so schön: «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.»

Hier erzählen wir die Geschichten von vier Köchen im Rollstuhl und schauen, wie sie die Herausforderungen gemeistert haben: nicht nur zurück in den Beruf zu kommen, sondern auch einen neuen Sinn im Leben zu finden.

Streben nach Michelin-Sternen

Einen Michelin-Stern zu bekommen, ist der Traum vieler Profiköche. So auch für Haikal Johari. Der Singapurer war 13 Jahre lang Küchenchef einer Restaurantkette im thailändischen Bangkok. Seit einem Motorradunfall 2015 jedoch ist er vom Hals abwärts gelähmt.

Obwohl Haikals Wahrscheinlichkeit, seinen Körper jemals wieder bewegen zu können, nur bei drei Prozent lag, verlor er seine Leidenschaft fürs Kochen nie. Er hatte auch das Glück, dass ihm bereits während der Reha ein neuer Job im spanischen Restaurant «Alma» in Singapur angeboten wurde.

Haikals Frau sagte einmal zu ihm:

«Keine Sorge, dein Kopf funktioniert noch, du kannst immer noch viel erreichen.»

Mit ihren aufmunternden Worten und ihrer Unterstützung im Alltag nahm Haikal das Angebot an und begann, die Speisekarte für das Restaurant zu erstellen, noch bevor er aus der Reha entlassen wurde.

Schon bald bewies er, dass Erfolg nicht von einer Diagnose oder einem Rollstuhl bestimmt wird: Er und sein Team verhalfen dem Restaurant 2016 zu seinem ersten Michelin-Stern. Unter seiner Führung hat das Restaurant seinen Michelin-Stern bis heute behalten.

«Die Fortschritte (in der Reha) waren für mich, als hätte ich einen Michelin-Stern bekommen.» Haikal erzählt von seiner Rehabilitation nach dem Unfall und von seiner Leidenschaft fürs Kochen: Sie war ausschlaggebend dafür, dass er als Koch wieder Erfolg hatte.

Im März dieses Jahres setzte die COVID-19-Pandemie Haikals Restaurant, wie vielen anderen auch, schwer zu. Aber er sah diese schwache Periode als gute Gelegenheit, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Er und sein Team schlossen sich mit 19 anderen Michelin-Restaurants in Singapur zusammen, um 2000 kostenlose Mahlzeiten für Bedürftige zur Verfügung zu stellen und von der Singapurer Tafel verteilen zu lassen. Während der Pandemie spendete sein Restaurant auch zwei Mal pro Woche kostenlose Lunchpakete für die Mitarbeiter des Universitätskrankenhauses Singapur, wo er einst selber in der Reha war. Haikal sagte:

«Ich glaube daran, dass auf jede schwere Zeit wieder ein Sieg folgt – das ist unser Licht am Ende des Tunnels.»

Manchmal überkommt Haikal immer noch eine Mischung aus Hilflosigkeit und Frustration, aber insgesamt ist er glücklich mit seinem Leben nach der Rückenmarksverletzung und hat gelernt, in jeder Hinsicht geduldiger und ausdrucksstärker zu sein. Seine Erfolge schreibt er gutem Teamwork zu und ermutigt sein Team stets nicht aufzugeben.

Der erste barrierefreie Food Truck Kanadas

Wie viele andere dachte auch Aleem Syed, dass seine Karriere als Koch zu Ende sei, als er 2008 nach einem Unfall von der Hüfte abwärts gelähmt war. Nun betreibt der Chefkoch aus Toronto seit 2014 den ersten barrierefreien Food Truck Kanadas.

Der Wendepunkt kam, als Pascal Ribreau, ein anderer Koch aus Toronto, Aleem im Krankenhaus besuchte und anbot, ihm sein Restaurant und seine Arbeit als gelähmter Koch zu zeigen. Als muslimischer Inder gründete Aleem schliesslich sein eigenes Catering-Unternehmen und servierte Halal-Gerichte in einem Food Truck.

Wheelchair Chef Aleem Syed with Justin Trudeau

Justin Trudeau (links), damals Spitzenkandidat der Liberalen bei der kanadischen Unterhauswahl, besuchte Aleem in seinem «The Holy Grill» 2015 (Quelle: Facebook@kravebistrotoronto)

Aleems etwa zehn Quadratmeter grosser Food Truck verfügt über eine elektrische Rampe, so dass er selbständig hineinkommt. Er ist auch so ausgestattet, dass er und seine Mitarbeiter – drei bis sechs Leute – problemlos gleichzeitig darin arbeiten können.

Viele Menschen, darunter auch Aleems Ärzte, halten den Food Truck für ein Wunder. Daher auch der Name: «The Holy Grill» (DE: Der Heilige Grill). Nun fährt Aleem mit seinem Truck durchs Land und zu Food Festivals und bietet Halal-Burger, Tacos, Grillspiesse und Poutine an – ein kanadisches Gericht aus Pommes, Käse und Sosse.

Aleem sagt, dass sein Rollstuhl mehr als nur Räder und Metall sind, da er ihm ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. In einem Interview mit dem kanadischen Fernsehsender Global News sagte er:

«Ich lasse nicht zu, dass der Rollstuhl ein ‹Behinderten-Faktor› wird.»

Podcast für Köche mit verschiedenen Leidenschaften und Einschränkungen

Der amerikanische Koch Eli Kulp überlebte 2015 die Zugentgleisung von Philadelphia – allerdings mit einer schweren Rückenmarksverletzung, so dass er nun auf einen Elektrorollstuhl angewiesen ist und eingeschränkte Armfunktion hat. Er erinnert sich, wie depressiv er nach sechs Monaten im Krankenhaus war. Ständig trauerte er wegen seiner Verletzung und konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder glücklich zu sein. Zwar wusste er, dass ihm alle nur helfen wollten – doch er war frustriert, weil er fand, dass niemand seine Situation und seine Einschränkungen besser verstehen konnte als er selbst.

«Mit einer Depression fühlt man sich, als hätte man Gewichte an den Beinen, so dass man sich nicht bewegen kann.»

Zum Glück hatte Eli dieses düstere Kapitel seines Lebens etwa ein Jahr nach dem Unfall überwunden und die Zuversicht und Energie gefunden, um sein Leben als Gastronom wieder selbst in die Hand zu nehmen. Dazu gehört auch, seine Erwartungen herunterzuschrauben, um den Frust über Dinge zu reduzieren, die er körperlich nicht leisten kann. Im April dieses Jahres begann er anderen zu helfen, die mit ähnlichen Herausforderungen und Frust zu kämpfen haben, indem er den The CHEF Radio Podcast ins Leben rief.

Wheelchair Chef Eli Kulp Radio Podcast CHEF

Koch Eli Kulp nimmt auf der Dachterrasse seines Hauses seinen The CHEF Radio Podcast auf. (Quelle: inquirer.com)

CHEF steht für cooking (Kochen), hospitality (Gastfreundschaft), environment (Umwelt) und food (Essen). In seinen Podcasts interviewt Eli Köche unterschiedlicher Herkunft mit verschiedenen Einschränkungen und spricht mit ihnen über Themen wie Barrierefreiheit, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in der Nahrungsmittel- und Gastro-Branche.

In einer Folge diskutierte er beispielsweise mit Chefköchin Jen Carroll das Thema geschlechterspezifische Benachteiligung und systematische Ungleichheit. Er lud auch diverse Gäste aus der Branche ein, um mit ihnen zu diskutieren, wie sie ihr Geschäftsmodell gerechter gestalten und die Gesellschaft positiv beeinflussen können, während sie sich von den Folgen der COVID-19-Pandemie erholen.

In seinem Podcast gab Eli zu, dass er immer noch ab und zu frustriert ist, aber seine Kreativität hat ihm geholfen, schwierige Zeiten zu meistern:

«Man muss Bereiche finden, in denen man immer noch etwas leisten und den Unterschied machen kann.»

Sich ein Ziel setzen, aber keine Frist

Ein Motorradunfall im Jahr 2015 machte Michael Thor zum Tetraplegiker. Wie viele bekam auch er von seinem Arzt gesagt, dass der «Heilungsprozess bei jedem anders verläuft», und seine Heilungsprognose sah düster aus. Aber Michael und seine Familie geben nicht auf.

Ein Neurochirurg erklärte in einem Interview, dass Menschen nicht alle, sondern nur bestimmte Nervenbahnen im Rückenmark nutzen. Manchmal erholen sich Menschen von einer Rückenmarksverletzung, wenn die ungenutzten Nervenbahnen sich entwickeln.

Um Michaels Chancen auf eine Regeneration zu erhöhen, gründete seine Mutter 2018 einen lokalen Ableger einer gemeinnützigen Physiotherapiekette in Atlanta, USA. In dem Therapiezentrum können Michael und andere Menschen mit Querschnittlähmung eine dauerhafte Therapie machen, die normalerweise teuer, aber essenziell für den Rehabilitationsprozess ist.

Michael und seine Frau sprechen in einem Interview über seine Reha und seine Pläne, wieder laufen zu können.

Dank mehrerer Physiotherapiesitzungen jede Woche hat Michael wieder etwas Gefühl in seinem Körper zurückgewonnen und macht stetig Fortschritte bei der Verbesserung seiner Körperfunktionen. Er testet auch verschiedene Optionen, wie etwa den Einsatz eines Roboterarms, damit er selbständiger wird. Seit 2019 übernimmt er in seinem Restaurant «Whiskey Kitchen» in Raleigh wieder konzeptionelle und administrative Aufgaben.

Michael Thor in his electronic wheelchair

Michael kann mit seinem motorisierten Rollstuhl allein zu seinem barrierefreien Restaurant fahren, das nur wenige Blocks von seiner Wohnung entfernt liegt. (Quelle: Juli Leonard at newsobserver.com)

Michael setzt sich keine Frist für seine Genesung. Er sagte:

«Ich bleibe positiv, denn ich weiss, dass ich irgendwann wieder aus diesem Stuhl rauskomme.»

Egal, wie lang es dauert: Er ist fest davon überzeugt, dass er es eines Tages schaffen wird. In der Zwischenzeit leitet er weiter sein Restaurant und dokumentiert seine Fortschritte auf Instagram als «The Crippled Cook» (DE: Der verkrüppelte Koch).

Worin besteht Eure grösste Herausforderung bei der Rückkehr ins Berufsleben und in den neuen Alltag mit der Querschnittlähmung?

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