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Porträts & Geschichten

«Dank dem Stoma habe ich meine Lebensqualität zurück»

Befasst du dich mit einem künstlichen Darmausgang? Karsten Hain erzählt, wie das Stoma sein Leben veränderte.

Fred Astaire, Napoléon Bonaparte und Papst Johannes Paul II – die Liste berühmter Persönlichkeiten mit Stoma ist lang. Und trotzdem ist ein künstlicher Darm- oder Harnausgang für viele Menschen noch immer ein Tabuthema. Dabei kann ein Stoma eine lebensverbessernde Massnahme sein – für den Paraplegiker Karsten Hain war es sogar lebensrettend.

Stoma – ja oder nein? Ein Rollstuhlfahrer erzählt

Karsten Hain ist seit 2010 querschnittgelähmt: komplette Paraplegie Th2 mit den dazugehörigen Blasen-, Darm- und Sexualfunktionsstörungen. Zwei Jahre nach seinem Motorradunfall folgte eine sogenannte Harnblasenaugmentation, um die Blasenfunktion wiederherzustellen. Dieser Harnblasenersatz (Neoblase) wird aus einem Stück Dünndarm erstellt. «Nach der Blasenoperation war mein Darmmanagement völlig durcheinander, ich litt unter Inkontinenz und Krämpfen.»

Über fünf Jahre lang suchte Karsten verzweifelt nach einer Lösung und unterzog sich unzähligen Untersuchungen und Behandlungsversuchen: Koloskopie, MRI, CT, diverse Medikamente und Abführmittel, klassische und alternative Therapien sowie Hilfsmittel wie WC-Aufsatz und anale Irrigationssysteme. Nichts half.

«Der Zeitaufwand und die Belastung waren riesig. Ich konnte weder arbeiten noch etwas unternehmen. Dauernd hatte ich Angst und habe mich sozial isoliert. Der Leidensdruck war so gross, dass ich Depressionen bekam und sogar an Selbstmord dachte.»

Karsten Hain, Paraplegiker mit Stoma

Karsten Hain lebt heute in Locarno. Weder Stoma noch Rollstuhl hindern in daran, sein Leben zu geniessen.

«Um Gottes Willen, ein Stoma will ich niemals haben!»

Für Karsten war der Begriff Stoma nichts Neues. Seine Kindheitserinnerungen an seine Tante mit Stoma bekräftigten den schlechten Ruf des künstlichen Darmausgangs: Man sieht es, man riecht es und dicht ist es sowieso nicht. Konkret beschäftigen sich Betroffene meist mit diesen Bedenken:

  • Angst vor Undichtigkeit: Das Material klebt nicht oder der Beutel läuft aus.
  • Unangenehmes Körpergefühl / geringere Attraktivität: Die Angst, dass das Stoma zu einer (zusätzlichen) Behinderung wird, ist gross. Auch die Vorstellung, dass der Stuhlgang oder der Urin über den Bauch abläuft, ist negativ besetzt. Viele haben Angst, vom Umfeld als «eklig» betrachtet zu werden.
  • Ungewissheit: Es bestehen Sorgen vor Komplikationen oder davor, dass das Material nicht hautverträglich ist oder man den Stuhl oder Urin riecht.

Mit seinen Ängsten suchte Karsten das Gespräch mit verschiedenen Fachpersonen aus der Stomaberatung, der Gastroenterologie und Viszeralchirurgie sowie mit Menschen mit Stoma. «Die Stomaberaterin in der Nähe meines damaligen Wohnorts hat mir Mut gemacht und aufgezeigt, wie einfach die Stomaversorgung zu handhaben ist. Heute weiss ich: Das negative Image des Stomas besteht aus Vorurteilen.»

«Lieber einen Beutel am Bauch als einen Zettel am Zeh»

Im Jahr 2017 entschied sich der damals 43-Jährige für die Operation eines endständigen, netzverstärkten Colostomas. Vor der Operation im Luzerner Kantonsspital Sursee und während seines zweiwöchigen Aufenthalts im Schweizer Paraplegiker-Zentrum wurde Karsten Hain intensiv von der Stomaexpertin Karin Gläsche Mehar begleitet. Sie arbeitet seit 25 Jahren in Nottwil und hat sich 2002 zur Pflegeexpertin Wunde und Stoma weitergebildet.

Für den «Beutel am Bauch» gibt es grundsätzlich zwei Arten von Versorgungssystemen:

  • Einteiliges System, bei dem die Haftplatte direkt am Beutel angeschweisst ist.
  • Zweiteiliges System, bestehend aus einer haftenden Basisplatte mit Befestigungsring und separaten Beuteln.

Die Stomaberatung ergab, dass für Kastens Bauchform und Lebensstil ein einteiliges System ideal ist. Und die moderne Stomaversorgung überzeugt: Sie ist zuverlässig und dicht, hautfreundlich und dank Aktivkohlefilter geruchsneutral.

«Die Operation hätte ich viel früher machen sollen! Das Stoma hat mein Leben um 180 Grad verändert: Ich habe meine Lebensqualität und Lebensfreude zurückgewonnen.»

Karsten Hain

Welche Vorteile hat ein Stoma für querschnittgelähmte Menschen?

Karsten Hain strahlt: «Für mich persönlich ist das Stoma ein lebensverändernder Gewinn!»

  • Zeitaufwand: Früher sass er rund fünf Stunden auf der Toilette und war auf Hilfsmittel angewiesen. Heute wechselt er ortsunabhängig in nur zwei Mal fünf Minuten seine Stomaversorgung – ohne mühsames Transferieren auf die Toilette und sogar unterwegs im Auto.
  • Ernährung: Vor der Stomaoperation war sein Speiseplan stark eingeschränkt. Heute ernährt sich Karsten abwechslungsreich und verzichtet lediglich auf stark blähende oder faserige Lebensmittel. Lebensmittelunverträglichkeiten erkennt er sofort.
  • Lebensqualität: Seine Angst- und Panikattacken, die soziale Isolation sowie seine Depressionen und Suizidgedanken wichen der Lebensfreude: Heute ist er aktiv und entspannt, unternimmt und reist viel und kann sogar wieder arbeiten.

Besonders für Personen mit Tetraplegie kann sich ein Stoma positiv auf das Selbstwertgefühl auswirken, da das manuelle Abführen entfällt und kein fremdes Eindringen in die Intimsphäre mehr nötig ist.

Um das Tabuthema zu entschärfen und Ängste abzubauen, engagierte sich Karsten Hain 2019 als Moderator am Stomatag und erzählte offen über sein Leben als Rollstuhlfahrer mit Stoma.

«Risiken und Nebenwirkungen» eines Stomas

Wie bei allen operativen Eingriffen können auch bei Stomaanlagen Komplikationen oder Einschränkungen auftreten. Für Karsten ist der positive Effekt des Stomas jedoch so gross, dass er über die kleinen «Nebengeräusche» hinwegsieht. Aufgrund des fehlenden Schliessmuskels entweicht zwischendurch Luft, manchmal auch laut. «Früher hätte ich mich zu Tode geschämt, heute informiere ich offen darüber. Ausserdem leide ich unter Spastiken, wenn die Luft nicht rauskommt.»

Und wie sieht es mit Partnerschaft und Sexualität aus? «Ich habe Frauen kennengelernt, die mich als Mensch und nicht als Rollstuhlfahrer oder Stomaträger sehen.» Dass man den Beutel unter dem T-Shirt sehen könnte, stört ihn ebenfalls nicht. Karsten schmunzelt: «Es könnte ja auch eine Gürteltasche oder ein Portemonnaie sein.»

Weitere Informationen zum Thema gibt es im Artikel «Stoma – künstlicher Darm- oder Blasenausgang» hier im Wiki der Paraplegie Community.

Wie empfindest du das – ist ein Stoma für dich ein Tabu? Hast du Erfahrungen mit einem künstlichen Darm- oder Blasenausgang, die du mit anderen teilen möchtest?

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