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Blase & Darm

Stoma – künstlicher Darm- oder Blasenausgang

Was ist ein Stoma?

Der Begriff Stoma kommt aus dem Griechischen und bedeutet «Mund» oder «Öffnung». In der Medizin bezeichnet er eine künstliche, operativ hergestellte Öffnung eines Hohlorgans, z. B. des Darms oder der Blase. So wird der Stuhl oder Urin über einen Ausgang an der Bauchdecke in einen Beutel abgeleitet.

Stoma als letzter Ausweg?

Fakt ist: Ein Stoma belegt auf der «Hitliste der möglichen Massnahmen» nicht den ersten Platz. Die Furcht vor Einschränkungen im Alltag und vor einem ästhetischen «Makel» macht die Entscheidung für Betroffene nicht einfach. Die sogenannte Behandlungspyramide zeigt: Erst, wenn konservative Therapieversuche wie Ernährungsumstellung, medikamentöse und minimal-invasive Massnahmen scheitern, wird das Stoma thematisiert.

«Teilweise wird bis zu 10 Jahre zugewartet und alle möglichen Alternativen getestet, bis eine Stomaanlage empfohlen wird. Aus Erfahrung wäre ein Stoma für viele Betroffene schon viel früher eine Lösung, um die Lebensqualität zu erhöhen.»

Karin Gläsche Mehar, Pflegeexpertin Wunde und Stoma am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil

Um das Thema Stoma gibt es viele Fragen, Zweifel und Vorurteile. Das Video zeigt junge Stomaträgerinnen, die häufige, auch intime Fragen offen beantworten.

In der Schweiz werden jährlich rund 3'500 Stomaoperationen durchgeführt. Gemäss Schätzungen tragen rund 7'500 Menschen in der Schweiz ein dauerhaftes Stoma. Wie viele Menschen im Rollstuhl ein Stoma tragen, ist statistisch nicht erfasst. «Im SPZ begleiten wir jährlich rund 15 Patienten mit einer neuen Stomaanlage», berichtet Karin Gläsche Mehar.

 logo schweizer paraplegiker zentrum

Schwierigkeiten mit dem Darmmanagement?

Die ambulante Darmsprechstunde im Schweizer Paraplegiker-Zentrum SPZ Nottwil berät Menschen mit neurogener Darmfunktionsstörung

  • durch Querschnittlähmung,
  • aufgrund von querschnittähnlichen Symptomen,
  • bei neurologischen/neurodegenerativen Erkrankungen (Multiple Sklerose, Morbus Parkinson etc.)
  • oder mit Ileo- oder Kolostoma.

Das interprofessionelle Team aus Paraplegiologie, Ernährung und Pflege/Kontinenz identifiziert und evaluiert die individuellen Aspekte eines optimalen Darmmanagements. Bei Bedarf werden andere Fachdisziplinen wie Neurourologie und Gastroenterologie einbezogen. Für die Beratung und Schulung im häuslichen Umfeld ist ParaHelp eine wertvolle Unterstützung.

Was ist bei der Entscheidung für oder gegen ein Stoma zu beachten?

Die Ängste und Sorgen, die Art der Operation und das passende Stomasystem sind bei jeder Person individuell. Für die Stomaexpertin Karin Gläsche Mehar sind folgende Punkte zentral:

  • Wenn das Darmmanagement bzw. die Darmentleerung immer anstrengender, zeitaufwändiger (mehr als zwei Stunden täglich), umständlicher und unzuverlässiger wird, sollten sich Betroffene dringend an ein medizinisches Zentrum wenden. Dieses Zentrum muss sich mit dem Thema Querschnittlähmung auskennen und über eine eigene Viszeralchirurgie verfügen oder eine gute Zusammenarbeit mit entsprechenden Fachpersonen pflegen.
  • Während der Beratung bei einer ausgebildeten Stomafachperson können alle Fragen und Ängste angesprochen werden, auch zu Themen wie Partnerschaft und Sexualität.
  • Es hilft, Gespräche mit sogenannten Peers oder mit Selbsthilfegruppen zu suchen. Auch der Partner / die Partnerin oder Angehörige sollten in den Entscheidungsprozess miteinbezogen werden.
  • Eine psychologische Betreuung hilft, sich mental auf die Operation vorzubereiten oder mit der neuen Situation zurechtzukommen.
  • Die Stomaoperation muss gut geplant werden:
    • An welchen Teil des Dick- oder Dünndarms soll das Stoma angelegt werden?
    • Welche Stelle am Bauch ist sinnvoll, um Komplikationen in der meist sitzenden Position zu vermeiden? Besonders für Menschen mit Querschnittlähmung ist die Selbstpflege zur Erhaltung der grösstmöglichen Unabhängigkeit entscheidend.
    • Hierzu gehört auch das Anzeichnen des Stomas oder das Probetragen eines Beutels.
    • Pumpen in der Bauchdecke (für Spastik oder Blasenentleerung) beeinflussen die Platzierung des Stomas.
  • Die Auswahl an innovativen und sicheren Versorgungen ist gross. Die Beratung durch eine unabhängige Stomafachperson hilft, das passende System für die persönlichen Anforderungen und ein verträgliches Klebematerial zu finden.
  • Die auf Querschnittlähmung spezialisierten Pflegefachpersonen von ParaHelp bieten nach der Operation Unterstützung an, auch zu Hause.
  • Betroffene können sich in verschiedenen Foren austauschen, beispielsweise zu Alltagstipps. Im deutschsprachigen Raum gibt es u. a. Stoma-Forum.de, das Forum Deutsche ILCO sowie diverse Gruppen auf Facebook
  • Zahlreiche Online-Plattformen stellen kostenlose Ratgeber zur Verfügung. Kleine Auswahl:
  • Im Handel sind einige hilfreiche Bücher erhältlich, beispielsweise:
  • Ein Stoma ist immer eine individuelle Angelegenheit. Es ist wichtig, alle Möglichkeiten für und gegen ein Stoma zu besprechen. Betroffene sollten sich sicher sein, dass sie den Eingriff wollen.

Stomaberatung SPZ Karin Gläsche Mehar

«Jeder Mensch hat andere Bedürfnisse, umso wichtiger ist eine individuelle Beratung.» Karin Gläsche Mehar, Pflegeexpertin Wunde und Stoma im SPZ Nottwil, informiert eine querschnittgelähmte Patientin bei der Wahl ihrer Stomaversorgung.

Welche Vorteile hat ein Stoma für querschnittgelähmte Menschen?

  • Weniger Zeitaufwand, mehr Flexibilität: Langes Sitzen auf der Toilette entfällt. Zudem kann die Abhängigkeit von Hilfspersonen und Hilfsmitteln vermindert werden. Bei entsprechender Handfunktion kann die Stomaversorgung auch unterwegs gewechselt werden.
  • Höhere Lebensqualität: Die aktive Teilnahme am Leben wird erleichtert. Besonders für Personen mit Tetraplegie kann sich ein Stoma positiv auf den Selbstwert auswirken, da das manuelle Abführen entfällt und kein fremdes Eindringen in die Intimsphäre mehr nötig ist. Tatsächlich zeigten sich in einer Studie rund 90 % der Befragten zufrieden mit ihrem Stoma.
  • Abwechslungsreichere Ernährung: Meist muss nur auf stark blähende oder fasrige Lebensmittel verzichtet werden. Lebensmittelunverträglichkeiten werden schneller erkannt.

«Obwohl ein Stoma die Lebensqualität deutlich verbessern kann, ist es kein Allheilmittel. Die Darmregulation mit den bekannten Mitteln und Techniken bleibt weiterhin wichtig. Zudem können der operative Eingriff und die Stomaversorgung Komplikationen verursachen. Bei querschnittgelähmten Menschen können sich Hernien bilden, da die Bauchmuskulatur geschwächt ist. Zudem können durch Materialunverträglichkeit oder bei undichten Systemen Hautprobleme entstehen.»

Karin Gläsche Mehar, Pflegeexpertin Wunde und Stoma, SPZ Nottwil

Die häufigsten Gründe für eine Stomaoperation

Solange unsere Verdauung funktioniert, schenken wir ihr wenig Beachtung. Dabei ist der Darm unser «zweites Gehirn». Bei Fussgängern zählen Darm- oder Harnblasenkrebs, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn, Darmverschluss, Fisteln, Inkontinenz, Verletzungen oder schlechter Allgemeinzustand zu den Hauptgründen für ein Stoma. Bei Menschen im Rollstuhl kommen weitere Faktoren hinzu:

  • Problematisches Darmmanagement: Bei der Mehrzahl der Betroffenen sind Störungen der Darmfunktion (Stuhlinkontinenz und/oder Verstopfung) der Grund einer Stomaoperation. Die Probleme können auch aufgrund der Lähmungshöhe, mit zunehmendem Alter, durch neue Erkrankungen oder durch medizinische/medikamentöse Probleme entstehen.
  • Dekubitus: Die Operation einer offenen Druckstelle in der Nähe des Afters erfordert meist notfallmässig eine Stomaanlage. Diese kann unter Umständen wieder zurückverlegt werden.
  • Lebensqualität und Selbständigkeit: Das Stoma schenkt Querschnittgelähmten oft mehr Freiheit. Tetraplegiker:innen mit ausreichender Handfunktion gewinnen durch ein richtig platziertes Stoma ihre Unabhängigkeit zurück.

logo svs ass

Die SVS-ASS ist die «Schweizerische Vereinigung der StomatherapeutInnen». Als spezialisierte Pflegefachpersonen in Stomatherapie, Kontinenzförderung und Wundbehandlung beraten und pflegen sie Menschen mit künstlichem Darm- oder Harnwegsausgang, mit Fisteln, chronischen Wunden, mit Stuhl- oder Harninkontinenz. Die Fachpersonen der Beratungsstellen unterstützen Betroffene im Selbstmanagement, analysieren den Bedarf und leiten entsprechende Interventionen ein. Diese Begleitung ist vor der Operation, während des Spitalaufenthaltes oder ambulant möglich.

Welche Stomaarten gibt es?

Es wird zwischen einem dauerhaften (permanenten) und einem vorübergehend angelegten (temporären) Stoma unterschieden.

  • Ileostoma: künstlicher Dünndarmausgang
  • Colostoma: künstlicher Dickdarmausgang mit folgenden Unterarten
    • Descendostoma (am absteigenden Dickdarm; die häufigste Form bei Querschnittlähmung)
    • Transversostoma (am quer verlaufenden Dickdarm)
    • Sigmoidstoma (am Sigma, dem vorletzten Teil des Dickdarms)
  • Urostoma: künstlicher Blasenausgang

Woraus besteht ein Stoma?

Grundsätzlich besteht eine Stomaversorgung aus drei Komponenten:

  • einer weichen und beweglichen Platte (flach oder gewölbt)
  • einem undurchsichtigen Beutel aus Textil-Vlies (geschlossene Beutel, Ausstreifbeutel und Urostomiebeutel)
  • einem Geruchsfilter aus Aktivkohle

Beim einteiligen System ist die Haftplatte direkt mit dem Beutel verschweisst. Zweiteilige Systeme bestehen aus einer haftenden Basisplatte und separaten Beuteln, die am Befestigungsring der Platte fixiert werden.

Die Wahl des passenden Systems hängt von den individuellen Bedürfnissen, Fähigkeiten und dem Körperbau der Betroffenen ab. Stomatherapeutinnen und -therapeuten wissen, welche Produkte ideal zu den Wünschen, zur vorhandenen Feinmotorik oder zu allfälligen Allergien passen.

Übrigens: Unsere modernen Versorgungssysteme basieren auf der kreativen Lösung einer Krankenschwester aus Dänemark, die 1954 einen selbstklebenden Beutel für ihre Schwester entwickelte.

logo ilco

Trotz guter medizinischer Versorgung löst ein Stoma Ängste und Unsicherheiten aus. Mitglieder der Selbsthilfeorganisation ilco Schweiz profitieren von den Erfahrungen und dem Wissen von Stomatragenden. In Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus Stomatherapie, Medizin und Pflege bietet die Organisation Betroffenen, Angehörigen und Interessierten wertvolle Unterstützung, Beratung und Begleitung.

  • Regionalgruppen – offener Austausch und Hilfe zur Selbsthilfe
  • young ilco – von jungen Betroffenen für junge Betroffene
  • Besuchsdienst – im Spital oder zu Hause
  • Anlässe – Veranstaltungen, Ausstellungen, Gesprächsgruppen, Vorträge, Ausflüge etc.
  • Bulletin – zwei Mal jährlich in drei Sprachen (DE, FR, IT)
  • Eurokey – Zugang zu behindertengerechten Sanitäranlagen
  • Auskunft übers Sekretariat: E-Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Weitere Informationen rund ums Stoma und hilfreiche Kontakte unter www.ilco.ch.

(Zu beachten: Oft handelt es sich um Informationen, die auf Fussgänger:innen zugeschnitten sind.)

Muss die Ernährung mit Stoma umgestellt werden?

In nur 0.46 Sekunden spuckt Google 154'000 Suchergebnisse auf die Frage «Ernährung bei Stoma» aus. Doch bis heute gibt es keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse und Ernährungsempfehlungen für Betroffene.

Trotz unzähligen (gut gemeinten und oft widersprüchlichen) Ratschlägen empfiehlt die renommierte Ernährungsberaterin Diana Studerus eine einfache Regel: gezielt essen. Wer keine Beschwerden habe, solle alles essen und uneingeschränkt geniessen. Idealerweise sollte aufs sogenannte Tellermodell geachtet werden: ein bis zwei Fäuste Gemüse sowie je eine Faust Stärke- und Eiweissbeilage.

«Viele Stomaträgerinnen und -träger essen bestimmte Dinge nicht, weil sie Angst vor Beschwerden wie Krämpfen oder Blähungen haben. Hier besteht ein Risiko für Mangelernährung.»

Diana Studerus, Ernährungsberaterin BSc SVDE

Treten Verdauungsbeschwerden auf, ist es ratsam, diese genauer zu beachten. Häufig kommt es im Zusammenhang mit der Anlage des Stomas – aber auch Jahre später – zu sogenannten funktionellen Verdauungsbeschwerden. Diese entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel von Darmmikrobiom (Darmbakterien), der Darm-Hirn-Achse und Nahrungsmittelinhaltsstoffen. Für Menschen mit Querschnittlähmung ist eine differenzierte Abklärung der funktionellen Verdauungsbeschwerden sinnvoll.

Diana Studerus beim Stomatag von ilco Schweiz

Die Ernährungsberaterin Diana Studerus leidet selbst an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung und hat sich auf die Ernährung mit Stoma spezialisiert. Im Bild hält sie einen Vortrag beim Stomatag von ilco Schweiz.

Viele Menschen mit funktionellen Beschwerden spüren, dass bestimmte Lebensmittel ihre Beschwerden deutlich verstärken können. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass in ca. 70 % der Fälle Lactose (Milchzucker), Fructose (Fruchtzucker), Polyole (z. B. Zuckeraustauschstoffe in Kaugummis oder Bonbons) sowie Oligosaccharide (längere Zuckermoleküle aus Weizen, Knoblauch, Hülsenfrüchten etc.) die Beschwerden verstärken können.

Hier kann die FODMAP-arme Ernährung helfen. Als diagnostische Diät kann sie helfen, den oder die Auslöser der Beschwerden zu ermitteln. Entsprechend angepasst kann die FODMAP-arme Ernährung längerfristig verwendet werden, um die Verdauungsbeschwerden zu reduzieren. Kurse, Webinare und die FODMAP App helfen bei der selbständigen Umsetzung im Alltag.

Auch sehr nahrungsfaserreiche Lebensmittel wie Spargel, grüne Bohnen, Stangensellerie, Fenchel, Maiskörner, Tomatenhaut, Pilze, Traubenkerne, Häutchen von Zitrusfrüchten, Nüsse, Popcorn oder Schalen von Obst und Gemüse können zu Stomablockaden führen. Statt auf diese Lebensmittel zu verzichten, können sie geschält, fein geschnitten und gut gekaut werden.

In ihrem neuen Buch «Nie wieder Blähbauch» teilt Ernährungsberaterin Diana Studerus gemeinsam mit zwei erfahrenen Ärzten ihr geballtes Expertenwissen – leicht (verdaulich) und verständlich. Zusätzliche Informationen findet ihr im ilco-Ratgeber zum Thema Ernährung.

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