Droht uns Böses, so können wir uns fügen oder uns auflehnen. Was besser ist, entscheiden wir selbst
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- 31. Mai 2023
- fritz
Der schwarze Kater lauert überall. Eh wir uns versehen, schleicht er sich an. Selbst Tiere wissen, was dann geschlagen hat, wir Menschen erst recht, und zwar schon seit der Wiege. Verinnerlicht haben wir, wer uns guttut, was uns wohl bekommt, wer es schlecht meint, was wir nicht vertragen. Den schwarzen Kater kennen wir seit jeher. Er verkörpert das Böse, das Bedrohliche.
Der schwarze Kater im Gedicht:
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim,
er flattert sehr und kann nicht heim.
Ein schwarzer Kater schleicht herzu,
die Krallen scharf, die Augen gluh.
Am Baum hinauf und immer höher
Kommt er dem armen Vogel näher.Der Vogel denkt: Weil das so ist
Und weil mich doch der Kater frisst,
so will ich keine Zeit verlieren,
will noch ein wenig quinquillieren
Und lustig pfeifen wie zuvor.
Der Vogel, scheint mir, hat Humor.Wilhelm Busch, 1874
Wilhelm Busch lebte von 1832 bis 1908. Die meisten von uns kennen den humoristischen Dichter und Zeichner von «Max und Moritz, eine Bubengeschichte in sieben Streichen». Neun Jahre später, 1874, entstand das Gedichtbändchen «Kritik des Herzens», in dem wir den Zwölfzeiler vom Vogel auf dem Leim finden.
Das Busch-Museum in seinem Geburtsort Wiedensahl, gut 50 Kilometer westlich von Hannover, können wir sogar virtuell besuchen. In Hannover stossen wir im Deutschen Museum für Karikatur und Zeichenkunst ebenfalls auf Busch.
Der schwarze Kater bringt Unglück
In Wilhelm Buschs Gedicht steht der schwarze Kater für den nahenden Tod. Der Vogel weiss, was ihm droht. Trotzdem verkümmert er nicht zum armen, bedauernswerten Vögelein. Nein, er lebt unbekümmert weiter, jammert nicht, fällt niemandem auf die Nerven, geschweige denn zur Last. Im Gegenteil, er pfeift munter weiter, womöglich so anmutig, dass er manchen erfreut, vielleicht sogar den schwarzen Kater erweicht.
Auf uns Menschen übertragen, sagt uns Wilhelm Busch: Je anmutiger wir pfeifen, desto besser leben wir und desto schöner hallt es zurück.
Wie höher entwickelten Tieren ist uns Menschen eingegeben, dass wir verletzlich sind, uns in Acht nehmen müssen vor dem schwarzen Kater. Wir können sogar über ihn nachdenken. Wir verknüpfen ihn deshalb nicht nur mit dem Tod, sondern mit Unglück im weitesten Sinne, mit Pech, Pechsträhnen: Sie bringen uns nicht um, bedrohen uns aber, vielleicht sogar existentiell.
Eine Rückenmarksverletzung, also eine Para- oder Tetraplegie, ist ein krasses Beispiel. Nennen können wir auch Komplikationen, die uns alles erschweren, berufliche Misserfolge, die uns aus der Bahn werfen, oder Liebeskummer, der uns schmerzt und an uns zweifeln lässt. Erlebnisse und Erfahrungen dieser Art schreiben wir reflexartig dem schwarzen Kater, allenfalls den Göttern oder dem «Schicksal» zu.
Müssen, sollen oder dürfen wir dem schwarzen Kater trotzen?
Übel setzt er uns zu, der schwarze Kater: Das Vögelein gibt vor, ihn nicht zu beachten. So widersetzt es sich ihm. Allem, was noch kommt, gibt es sich demütig und ergeben hin. Es zeigt so, wie bedeutungslos es im Grunde ist, macht kein Aufheben. So steht es über sich, schickt sich humorvoll ins (wahrscheinliche) Unheil.
Auf uns Menschen übertragen, sagt uns Wilhelm Busch: Je weniger wichtig wir uns nehmen, desto mehr Humor haben wir.
Den meisten von uns Menschen fällt es schwer, sich so zu verhalten wie das Vögelein. Wir wehren uns, glauben, uns dem schwarzen Kater stellen zu müssen, ihn abzuwehren.
Das mag richtig sein, denn einen Querschnitt im Rückenmark oder einen vergleichbaren Schlag überstehen wir nur, wenn wir uns auflehnen, mit Einschränkungen zu leben lernen, uns rehabilitieren.
Es kann auch falsch sein, denn die Lebensbedingungen haben sich verändert. Wir haben das hinzunehmen, uns zu fügen und dazu – wie das Vögelein – möglichst unverdrossen weiter zu pfeifen. Nur so können wir uns anpassen.
Gelingt uns das, so leben wir wieder auf, und zwar auf einer neuen Grundlage. Unsere Mitmenschen folgen uns, denn wir strahlen einen guten Geist aus. Unter ihnen sind Helfer, die wir zuvor nicht kannten und neue, teils auch alte Partner und Freunde.
Gelingt es uns nicht, so ergeht es uns weniger gut. Fröhlich zu pfeifen, kriegen wir nicht mehr hin, es fehlt uns die Kraft. Wir gehen unter, verwelken wie eine Blume, bis der schwarze Kater zubeisst.
Als Menschen können wir den bösen Kerl auch rufen, wenn wir nicht mehr mögen und uns erlösen wollen. Exit heisst er.
Niemandem steht es zu, moralisch zu bewerten, wie wir uns richtig verhalten. Wohin wir fliegen oder auch nicht, lässt uns Buschs Vögelein offen.