Zeljko Raduljevic, seit einer COVID-19-Erkrankung gelähmt, erzählt, wie er seine Reha im SPZ Nottwil während der Pandemie erlebt hat
- 6 Minuten Lesezeit
- 20. Oktober 2021
- Clara
Zeljko Raduljevic, seit einer COVID-19-Erkrankung gelähmt, erzählt, wie er seine Reha im SPZ Nottwil während der Pandemie erlebt hat
Im ersten Teil der Blog-Serie berichtete Sarah Stierli, Logopädin am Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil, von ihren eindrücklichen Erfahrungen auf der Intensivstation während der COVID-Pandemie.
Im zweiten Teil kommt der SPZ-Patient Zeljko Raduljevic zu Wort. Seit einem schweren Verlauf von COVID-19 ist er vom Hals abwärts gelähmt.
Raduljevic wird seit Februar 2021 im SPZ rehabilitiert. Er berichtet offen darüber, wie er die Zeit erlebt hat, wie er mit der Situation umgeht – und über ein «kleines Wunder».
Nach der COVID-IPS in die Reha
Im stark isolierten Teil des SPZ, der COVID-Intensivstation (IPS), lagen die ansteckenden Patient:innen. Von dieser Station handelte der erste Teil der Blog-Serie.
Hinzu kamen viele Menschen, die bereits seit einiger Zeit schwer an COVID-19 erkrankt waren – die sogenannten Post-COVID-Patient:innen. Logopädin Sarah Stierli erläutert: «Diese Patientinnen und Patienten waren zwar nicht mehr ansteckend, mussten aber trotzdem noch auf der IPS sein oder sind zum Teil noch immer zur Reha im SPZ. Einige von ihnen haben sich gut erholt und sind wieder in den Arbeitsprozess integriert. Andere sind auch nach neun Monaten Rehabilitation noch stark auf pflegerische Hilfe angewiesen – unabhängig vom Alter».
«Auch wenn sie nicht mehr infektiös sind, haben sie das Ganze noch lange nicht durchgestanden.»
Sarah Stierli
Einer dieser Patienten ist Zeljko Raduljevic. Seit Februar 2021 befindet sich der 39-Jährige zur Rehabilitation im SPZ in Nottwil. Seit einem schweren Verlauf von COVID-19 hat er ab dem Hals eine Lähmung, eine sogenannte Tetraparese. Wie dieser Artikel erläutert, ist dies ein Phänomen, das in extrem seltenen Fällen im Zusammenhang mit COVID-19 auftritt.
Weil die Atemmuskulatur nicht mehr funktionierte, erhielt Raduljevic eine Trachealkanüle. Mehr als ein halbes Jahr wurde er maschinell beatmet.
Für diesen Blog nimmt er sich Zeit, um zu erzählen, wie es dazu kam.
«Es kam eins nach dem andern. Corona war der Auslöser dieses ganzen Unheils.»
Zeljko Raduljevic
Im Dezember 2020 wurde Raduljevic positiv auf SARS-CoV-2 – das «Coronavirus» – getestet. Eine Woche später kam er mit hohem Fieber in ein Akutspital im Kanton Zürich. Sechs Wochen lag er im Koma.
Als er wieder zu sich kam, konnte er zunächst selbständig atmen. «Doch», erzählt er, «eines Tages konnte ich beim Sitztraining plötzlich nicht mehr gut atmen. Es kam eins nach dem andern. Corona war der Auslöser dieses ganzen Unheils.»
In vollständiger Abhängigkeit
Obwohl er nicht mehr ansteckend war, wurde Raduljevic auf der IPS weiterhin isoliert, weil sein ganzes Immunsystem stark geschwächt war. «Wenn jemand zu mir gekommen ist, mussten sich alle speziell einkleiden, auch mit einer Haube für die Haare», erinnert er sich.
Damals hatte er noch nicht die Möglichkeit, trotz Beatmung zu sprechen. So habe er sich kaum bemerkbar machen können, erzählt er. Deswegen und wegen seiner Isolation habe er manchmal lange warten müssen.
Aufgrund seiner Lähmung wurde er nach einigen Monaten auf die IPS ins SPZ verlegt. An den Transport dorthin kann er sich gut erinnern, weil er stark von der Beatmungsmaschine abhängig war. «Ich musste teilweise einige Sekunden warten, bis wieder Luft kam. Aber ich habe mich selbst beruhigt, um die Atemnot auszuhalten», erzählt er.
«Ich wusste genau, dass ich da einfach durchmusste, wenn ich Fortschritte erzielen wollte.»
Zeljko Raduljevic
Die vollkommene Abhängigkeit hat Raduljevic auch im SPZ noch Mühe bereitet, wie er sagt. «Ich weiss noch, ich hatte sehr grossen Respekt vor jeder Mobilisierung. Schuld daran waren vor allem diese vielen Schläuche in mir drin. Ich hatte jeden Tag Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie. Fürs Mittagessen musste ich in den Stuhl. Zudem musste ich jeden Tag in den Stehtisch. Das hat mich alles sehr gestresst und viele Nerven gekostet. Aber ich wusste genau, dass ich da einfach durchmusste, wenn ich Fortschritte erzielen wollte.»
«Das Schwierigste war, dass ich meine Beine zwar nicht bewegen, aber sehr stark fühlen konnte. Und wenn man mir dann nach etwa eineinhalb Stunden die Beine nicht bewegt hatte, bekam ich schreckliche Schmerzen, alles wurde steif. Ich war deswegen so dankbar, im SPZ nach über sechs Wochen erstmals mit dem Sprechventil wieder richtig sprechen zu können», meint der ausgebildete Sänger weiter. So konnte er sich den Pflegefachpersonen mitteilen und sich auch besser bemerkbar machen.
Ein kleines Wunder und der Blick nach vorne
Nach kurzer Zeit des Trainings konnte er das Sprechventil den ganzen Tag tragen, auch wenn er die Beatmung noch für viele Wochen brauchte. Erst seit Mitte Juli gelingt es ihm, ohne Atemnot frei von der Beatmungsmaschine zu atmen. Darüber ist er sichtlich dankbar. Die Trachealkanüle braucht er nur noch als Übergangslösung, bis er sich ohne Beatmungsmaschine über längere Zeit ganz sicher fühlt. «Mein Körper hat einen anderen Weg gefunden, das Zwerchfell anzusteuern. Das ist ein kleines Wunder!», erzählt er im Interview.
Als seinen grössten und wichtigsten Fortschritt bezeichnet er aber die vollständige Bewegung des Kopfes. «Auf der IPS konnte ich den Kopf nur wenig bewegen. Deshalb haben sie mir den Knopf zum Klingeln an die Schläfe gelegt. Aber wenn ich im Bett nur ein wenig nach unten gerutscht war, konnte ich ihn nicht mehr erreichen und mich so nicht bemerkbar machen. Jetzt kann ich den Hals ganz bewegen. Zudem kann ich meine Schultern sehr gut anheben und meine Beine ein wenig hin und her bewegen. Es sind halt noch keine konkreten Bewegungen.»
«Ich sehe das SPZ nicht als Anstalt, sondern als mein derzeitiges Leben.»
Zeljko Raduljevic
Raduljevic ist voraussichtlich noch bis Ende November in Nottwil. Dass er dann nicht wieder werde gehen können, wurde ihm von ärztlicher Seite mitgeteilt. Eine Anschlusslösung für eine weitere therapeutische Betreuung wird gesucht.
Jeden Tag hat er intensive Therapie. Zum Beispiel übt er mit Hilfe eines Exoskeletts die Handbewegung, die er für die Steuerung des Elektrorollstuhls braucht.
Es mache ihm nicht viel aus, dass die ganze Reha deutlich länger dauert, als er anfänglich dachte, meint Raduljevic. Er versuche, im Jetzt zu leben, und lasse keine negativen Gedanken aufkommen. Lieber sei er locker, aufgestellt und erlaube sich ab und an ein Spässchen mit dem Personal. Schliesslich lebe er quasi seit sechs Monaten mit diesen Leuten zusammen.
«Ich sehe das SPZ nicht als Anstalt, sondern als mein derzeitiges Leben», ergänzt er. Diese Vorstellung gebe ihm Kraft.
Als Raduljevic am Ende des Interviews gefragt wird, was er gerne noch loswerden möchte, meint er: «Mir geht es hier sehr gut und ich fühle mich wohl». Und er könne kaum fassen, wie schnell die Zeit vergehe. Solange diese nicht stehen bleibe, sei alles gut.
Seit dem Interview ist die Zeit für Zeljko Raduljevic weitergelaufen – vielleicht schneller als gedacht. Bereits wenige Tage danach konnte die Trachealkanüle entfernt werden. Der Luftröhrenschnitt ist inzwischen verschlossen. Nur noch eine kleine Narbe am Hals erinnert an seine vollkommene Abhängigkeit von der Beatmungsmaschine. Damit hat Raduljevic einen weiteren Meilenstein auf seinem Rehabilitationsweg erlangt.
Wir wünschen ihm für diesen Weg viele weitere Erfolge – und wer weiss, vielleicht geschieht ja noch ein kleines Wunder.
Nachtrag: Wenige Wochen nach diesem Beitrag hat 20 Minuten ein Video über Zeljko Raduljevic veröffentlicht. Leider sind einige Kommentare darunter unqualifiziert.