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Wissenschaft

Die Wissenschaft – Teil 3: Treffen die Ergebnisse auf mich zu?

Im dritten Teil der Blog-Serie über die Wissenschaft erklären wir, warum man sich ansehen sollte, wer die Teilnehmer einer Studie sind.

Im dritten Teil der Blog-Serie über die Wissenschaft erklären wir, warum man sich ansehen sollte, wer die Teilnehmer einer Studie sind

Um zu beurteilen, ob die Ergebnisse einer Studie für mich relevant sind, ist es wichtig zu verstehen, wer an der Studie teilgenommen hat und wer ausgeschlossen wurde.

Häufig stossen wir auf Nachrichten über Wissenschaft und Gesundheit. Die Medien neigen dazu, gewisse wissenschaftliche Studien als «Wunder» zu präsentieren. So lenken sie die Aufmerksamkeit vieler Leser auf sich, wecken aber auch grosse Erwartungen, die nicht immer durch die Realität gerechtfertigt sind.

In dieser Blog-Serie über die Wissenschaft präsentieren wir drei grundlegende Fragen, die wir uns stellen sollten, wenn wir in den Medien Nachrichten aus der Wissenschaft lesen. Die Beantwortung dieser Fragen kann uns helfen, unsere Erwartungen realistischer zu gestalten.

Die Ergebnisse einer Studie sind das, was uns am meisten interessiert. Doch wie wir im ersten Teil der Blog-Serie gesehen haben, lassen sich die Ergebnisse einer im Labor an Mäusen durchgeführten Studie nicht direkt in der medizinischen Praxis anwenden. Es werden wohl noch einige Jahre vergehen, bis das Medikament auf den Markt kommt, da dessen Sicherheit und Wirksamkeit auch am Menschen überprüft werden muss.

Ausserdem ist zu beachten, dass die Art und Weise der Durchführung einer Studie dafür verantwortlich ist, wie aussagekräftig ihre Ergebnisse sind. Zu bewerten sind das Studiendesign – über das wir im zweiten Teil gesprochen haben – und die Stringenz, mit der die Studie durchgeführt wurde. Wie wir heute sehen, haben auch die Eigenschaften der Teilnehmer einen Einfluss auf die Ergebnisse der Studie – und damit auf die Frage: Treffen die Ergebnisse auf mich zu?

forscherin arbeitet mit pipette und reagenzgläsern

Ist eine Studie in der Laborphase, dauert es in der Regel noch lange, bis wir von den Ergebnissen profitieren können.

Ist die Studie repräsentativ oder nicht?

Stellen wir uns vor, wir möchten etwas wissenschaftlich untersuchen, zum Beispiel die Lebensqualität von Querschnittgelähmten in der Schweiz. In einer idealen Welt würden wir alle betroffenen Personen befragen. Doch in der Realität ist es nicht möglich, Daten von allen zu sammeln, weil wir nicht die Zeit und die Ressourcen dafür haben. Deshalb verwendet die Forschung eine Stichprobe von Teilnehmern.

Die Stichprobe kann repräsentativ sein für die sog. Grundgesamtheit – in unserem Beispiel sind das alle Querschnittgelähmten in der Schweiz – oder sie ist nicht repräsentativ. Im ersten Fall handelt es sich bei der Stichprobe um eine Gruppe von Personen, deren Merkmale, z. B. Geschlecht und Alter, die der Grundgesamtheit widerspiegeln. In diesem Fall lassen sich die Schlussfolgerungen, die man aus der Studie ziehen kann, auf die Grundgesamtheit anwenden.

Wenn die Stichprobe jedoch nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit ist, dann lassen sich die Ergebnisse der Studie auch nicht auf die Grundgesamtheit übertragen, sondern nur auf Personen, die den Studienteilnehmern ähnlich sind (z. B. querschnittgelähmte Männer in der Altersgruppe 40-60 Jahre). Die Eigenschaften der Studienteilnehmer zu kennen, kann daher helfen zu verstehen, inwieweit die Ergebnisse relevant und auf uns selbst anwendbar sind.

teilnehmer an einer forschungsstudie zur lungenfunktion

Die Charakteristika der Studienteilnehmer sind entscheidend dafür, für welche Personen die Ergebnisse relevant sind.

Wurden Menschen mit ähnlichen Erkrankungen wie ich von der Studie ausgeschlossen?

In experimentellen Studien wird oft versucht, die Anzahl der beteiligten Variablen zu begrenzen, um Ursache-Wirkungs-Beziehungen leichter identifizieren zu können. Dann werden z. B. nur gesunde Menschen rekrutiert oder nur Männer oder Menschen einer bestimmten Altersgruppe. Zudem können aus ethischen Gründen bestimmte Personengruppen, die als gefährdet gelten, nicht an der Forschung teilnehmen. Schwangere Frauen fallen in diese Kategorie.

Gleiches gilt für Patienten, die an diversen chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck leiden und dafür Medikamente einnehmen: Sie dürfen oft nicht an Studien teilnehmen, weil man nicht weiss, ob das in der Studie getestete Medikament eine Wechselwirkung mit den bereits eingenommenen Medikamenten haben kann und somit ein Risiko für die Gesundheit darstellt. Dadurch lassen sich die Studienergebnisse weniger verallgemeinern bzw. nur auf eine kleinere Population übertragen.

Ein Beispiel: Um die Wirksamkeit eines neuen Medikaments gegen Spastik zu untersuchen, wird eine Studie mit Paraplegikern zwischen 18 und 65 Jahren durchgeführt, die keine Begleiterkrankungen oder Komplikationen haben. Die Wirksamkeit des Medikaments lässt sich dann für Menschen mit genau diesen Bedingungen feststellen. Aber was ist mit einer Tetraplegikerin, die Medikamente gegen chronische Schmerzen und Darmstörungen einnimmt? Wird das neue Medikament gegen Spastik auch bei ihr wirksam sein? Eventuell, aber wir wissen es nicht sicher. Wir wissen auch nicht, welche Wechselwirkungen das neue Medikament mit den Medikamenten haben könnte, die sie bereits nimmt.

Beispiele aus der Praxis

Im Jahr 2014 schaffte es der Paraplegiker Darek Fidyka, mit einer Gehhilfe wieder zu gehen. Möglich wurde dies durch eine als «revolutionär» dargestellte Therapie, die vielen Querschnittgelähmten auf der ganzen Welt Hoffnung gab. Die Therapie bestand aus einer Transplantation von Zellen ins Rückenmark, kombiniert mit einer zweijährigen intensiven Neurorehabilitation.

darek fidyka mit gehhilfe

Darek Fidyka kann heute mit einer Gehhilfe wieder gehen. (Quelle: AFP/BBC)

Betrachtet man den Fall aber näher, hatte Darek eine eher seltene Querschnittslähmung: eine scharfe Verletzung, verursacht durch einen Messerschnitt. Die Frage ist also: Wird die Therapie, die Darek geholfen hat, auch bei Menschen wirken, die eine andere Verletzung haben als er – z. B. eine am Halswirbel oder eine, die durch eine Quetschung verursacht wurde und nicht durch einen scharfen Schnitt? Derzeit läuft eine Studie, deren Ergebnisse im Jahr 2022 veröffentlicht werden.

Andere Studien untersuchen Interventionen für Patienten, die erst vor kurzem eine Rückenmarksverletzung erlitten haben. Die Ergebnisse dieser Studien werden sich daher nur schwer auf Menschen anwenden lassen, die bereits seit einiger Zeit querschnittgelähmt sind. Ein Beispiel hierfür ist die internationale NISCI-Studie; sie untersucht die Wirksamkeit von Anti-Nogo-A-Antikörpern im Hinblick darauf, dass sich Nervenfasern besser regenerieren und wieder verbinden können.

wirkungsweise von nogo a antikörpern

Nogo-A-Antikörper helfen dabei, dass Nerven wieder zusammenwachsen. (Quelle: https://jahresbericht.balgrist.ch/)

Es gibt auch Studien, an denen nur Menschen mit einer inkompletten Querschnittlähmung teilnehmen – daher machen die Ergebnisse vor allem diesen Menschen Hoffnung. Dazu gehört die Schweizer Studie zur epiduralen Elektrostimulation (EES). Diese Methode zielt darauf ab, Nervenfasern elektrisch zu reaktivieren. Dabei umgeht man die Verletzungen, welche die Kommunikation zwischen Gehirn, Nerven und Muskeln unterbrochen haben. Je weniger schwer die Verletzungen und je intakter die Nervenfasern sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Patienten von diesem Ansatz profitieren können.

Geschlechterdiskriminierung in der medizinischen Forschung

Ein großes Problem in der medizinischen Forschung ist, dass die Studienteilnehmer jahrzehntelang nur oder fast nur Männer waren, während die Ergebnisse auch für Frauen galten. Man stellte allerdings fest, dass diese Praxis ihre Grenzen hat. In der Tat wissen wir heute zum Beispiel, dass die Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen und Männern nicht gleich sind. In Ermangelung spezifischer Studien mit Frauen wurden die ersten Symptome eines Herzinfarkts bei Frauen jahrelang nicht erkannt, was ihre Chancen auf eine rechtzeitige optimale Behandlung verringerte.

Des Weiteren ist auch die ideale Dosierung von Medikamenten für Männer und Frauen oft verschieden. Dosierungen, die auf der Grundlage von Studien mit Männern empfohlen wurden, führten bei Frauen zu Problemen und sogar zu Todesfällen. Obwohl es seit den 1990er Jahren Verbesserungen gegeben hat, sind bis heute die Frauen, die an medizinischen Forschungsstudien teilnehmen, gegenüber den Männern in der Minderheit.

forscherin und patientin mit querschnittlähmung

Frauen sind in medizinischen Studien noch immer unterrepräsentiert.

Fassen wir zusammen: Wenn wir über die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie lesen, sollten wir auf zwei Faktoren achten: 1. die Charakteristika der Studienteilnehmer, insbesondere Alter und Geschlecht; 2. den Gesundheitszustand der Teilnehmer, also ob sie genau das gleiche Problem hatten wie wir. Wenn die Charakteristika und die klinische Situation der Teilnehmer ähnlich der unseren sind, dann können wir mit Recht davon ausgehen, dass die Ergebnisse der Studie auf uns anwendbar sind. Aber denken wir daran, dass jeder Fall einzigartig ist. Daher sollten wir gemeinsam mit unserem Arzt beurteilen, inwieweit sich die Ergebnisse auf unsere spezifische Situation übertragen lassen.

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