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Wissenschaft

Tierisch förderlich

Tiergestützte Therapie bereichert das Reha-Programm auf erlebnisreiche und wirksame Weise. Zehn Jahre Erfahrung im Rehab Basel belegen dies

Szene 1: Wir sitzen vor dem PC und erledigen lästige Büroarbeiten, die sich angesammelt haben. Wir bewegen nur die Hände. Dabei rutscht das Gesäss unmerklich nach vorne, der Rücken krümmt sich. Wir hängen wie ein grosser Kartoffelsack im Rollstuhl. Das Blut fliesst träge. Der Blutdruck sinkt, die Muskeln in den gelähmten Körperteilen versteifen sich, werden spastisch. Wir fühlen uns unwohl, müde vom Alltag.

fritz am pc

Wie ein Kartoffelsack hänge ich, Fritz, in meinem Rollstuhl, wenn ich am PC sitze.

Tiere therapieren uns angenehm und wirksam

Szene 2: Konzentriert sitzen wir aufrecht in unserem Rollstuhl und interagieren mit einem munteren Tier, zum Beispiel einem Meerschweinchen. Es fordert uns, wir wollen ihm etwas bieten. Wir rüsten Grünzeug und füttern es. Ohne es wahrzunehmen, bewegen wir uns, verlagern ständig unser Gewicht, spannen und dehnen selbst spastische Muskeln, das Blut durchströmt und entspannt sie. Der Blutdruck steigt, der Kopf wird klar und gleichzeitig berührt uns dieses kleine Lebewesen, das vor uns schnuppert und wuselt. Es fühlt sich gut an und tut uns gut.

fritz mit therapieschwein frederick

Sobald ich aktiv bin, sitze ich aufrechter, verlagere mein Gewicht – trotz Tetraplegie. Deshalb gilt Schwein Frederick im Therapie-Tiergarten als Mitarbeitender, ich als sein Patient.

Das ist, beispielhaft dargestellt, tiergestützte Therapie. Sie ergänzt das Rehabilitationsprogramm, peppt es tierisch auf.

«Tiergestützte Therapie berührt Patienten auch emotional. Sie werden fürsorglich, statt sich selbst versorgen zu lassen.»

Gisela van der Weijden, Physiotherapeutin

Tiergestützte Therapie ist nur für die, die wollen

Im Rehab Basel arbeiten die Therapeuten gezielt mit Tieren – allerdings nur, wenn die Patienten es wünschen, wie die zuständige Physiotherapeutin Gisela van der Weijden betont. Rund ein Drittel der möglichen Patienten nutzt das Angebot. Sie können wählen, welche Tiere sie therapeutisch begleiten sollen. So setzen sie locker und spielerisch um, was sie sonst eisern und vielleicht auch griesgrämig trainieren. Mit Tieren geht’s leichter.

therapie schwein frederick mit ringen

Frederick ist klug und drollig zugleich. (Bild: Torben Weber)

Wir kennen Ähnliches aus dem Alltag: Laut Statistik leben Fussgänger, die täglich mit ihrem Hund spazieren gehen, am gesündesten. Auch bei Wind und Regen gehen sie ihrem Vierbeiner zuliebe hinaus und führen ihn im gemütlichen Trab. So verausgaben sie sich nicht und bringen doch ihren Organismus in Schwung. «Tiergestützt» halten sie sich fit.

Wer nach einem erlittenen Trauma oder einer bedrohlichen Krankheit in den Alltag zurückkehrt, muss noch disziplinierter vorgehen, sich rehabilitieren. Tiergestützte Therapie erleichtert dies, ersetzt aber (leider) nicht das schweisstreibende Training.

Therapie mit grossen und kleinen Tieren

40 domestizierte Tiere leben inzwischen im Therapie-Tiergarten des Rehab Basel, der letztes Jahr sein zehnjähriges Bestehen feierte. Die Hühner, Geissen, Schafe, Schweine, Katzen und Hasen gelten als qualifizierte Mitarbeitende, die etwas zu tun haben. Hunde, Delphine und Affen sind anderswo. Natürlich gibt es auch Pferde: In der Hippotherapie lernen neurologisch geschädigte Patienten auf erlebnisreiche Weise, ihre Rumpfmuskulatur so einzusetzen, dass sie gut sitzen und nicht stürzen. Das ist längst bekannt.

lorena wegmüller betriebsleiterin therapie tiergarten

Lorena Wegmüller und ihr siebenköpfiges Pflegeteam betreuen und erziehen die domestizierten Tiere. (Bild: Torben Weber)

Neu ist die therapeutische Arbeit mit Kleintieren, manchmal sogar am Patientenbett. Lorena Wegmüller, die Leiterin des siebenköpfigen Pflegeteams sagt: «Ich behandle nur Tiere». Was lapidar klingt, ist anspruchsvoll. Sie hält und erzieht ihre Tiere so, dass sie selbst im therapeutischen Rahmen neugierig und aktiv bleiben. Nur so macht es Spass und ist wirksam – für die Patienten und ihre Therapeuten ebenso wie für die mitwirkenden Tiere und ihre Betreuer. Wenn sich die Tiere alles gefallen lassen, haben sie sich ergeben. Sie fühlen sich bedrängt und unwohl – so wie wir, wenn wir missmutig vor dem PC sitzen.

«Auch im therapeutischen Setting müssen sich die Tiere wohl fühlen.»

Lorena Wegmüller, Betriebsleiterin des Therapie-Tiergartens

Die Psychologin Prof. Karin Hediger begleitet die Arbeit mit und an Tieren wissenschaftlich. Auch die tiergestützte Therapie muss den «Nachweis der Wirksamkeit» erbringen, und sie tut es: Selbst bei komatösen Patienten verändern sich die Hirnströme – zum Glück in die gute Richtung. Tiere fördern die Rehabilitation.

hühner im therapietiergarten des rehab basel

Im Therapietiergarten des Rehab Basel gibt es vorwiegend Kleintiere. Manchmal sind sie sogar am Patientenbett. (Bild: Torben Weber)

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