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Gesellschaft

Hilfsmittel müssen taugen

Alle Menschen brauchen Hilfsmittel, körperlich beeinträchtigte erst recht. Vielfach kosten sie vor allem viel

Unsere Hände sind das beste Hilfsmittel. Der Daumen und die Finger sind genau so lang, dass wir greifen können. Das bevorteilt uns gegenüber Tieren. Dafür haben wir keinen Pelz. Wir sind dünnhäutig. Um uns vor gleissender Sonne und eisiger Kälte zu schützen, brauchen wir Kleider.

Was wir ab der Stange kaufen, ist für uns, die wir immer sitzen, uns im Sitzen oder im Bett an- und ausziehen, nicht immer funktional. Die deutschen Versandhäuser Rollitex und Rollimoden setzen hier an. Sie haben sich auf unsere Bedürfnisse spezialisiert.

Von der Hand zur «Funktionshand» bis zum Maul

Um mit Kleidern umzugehen, brauchen wir indes die Greifhand. Uns Tetraplegikern fehlt sie. Die Fingermuskeln können wir nicht ansteuern. In der Rehabilitation müssen wir deshalb herausfinden, wie wir aus der gelähmten wieder eine «Funktionshand» entstehen lassen.

mann mit dose in der hand

Daumen und Finger bilden die Greifhand. Mit ihr umklammert er die Dose.

Wo dies nicht gelingt, bleibt uns – wie den Tieren – das Maul. Die kräftige Kiefermuskulatur treibt es an. Dies ist uns vor allem wichtig, wenn wir uns nicht helfen lassen wollen oder können. So etwa beim Katheterisieren. Die beiden Tetraplegiker unten öffnen die Packung, indem sie sie oben mit dem Mund bzw. den Zähnen fixieren und dann unten mit den gegeneinander gedrückten Handballen aufdrehen.

tetraplegiker öffnen blasenkatheter mit dem mund

Wir Tetraplegiker müssen uns mit dem Mund behelfen, um gewisse Blasenkatheter auszupacken. Ich selbst schaffe das nicht.

Untaugliche Hilfsmittel verdriessen besonders

Blasenkatheter sind ein typisches Hilfsmittel, das die Hersteller nur einem sehr spezifischen Kreis von Kunden verkaufen können. Es ist kein Massenprodukt wie ein Unisex-T-Shirt, sondern ein medizinisches Spezialprodukt. Warum müssen wir, die nachweislich darauf angewiesen sind, es auspacken wie ein Hund? Ich selbst kriege nicht einmal das hin. Wenn ich die Hände gegeneinanderpresse, bildet sich zu wenig Druck. So bin ich auf ein anderes Fabrikat ausgewichen, das ich leichter handhaben kann.

Unter diesen Kathetern finden sich indes immer wieder solche, die ungenügend oder gar nicht befeuchtet, also unbrauchbar sind. Wenn’s dringlich ist, verdriesst mich das sehr. «Probleme in der Produktion», heisst es dazu aus Irland, wo sie hergestellt werden. Im Bemühen, es mit Humor zu nehmen, tröste ich mich: Je trockener diese Sonden, desto besser sind hoffentlich die Kehlen der Verantwortlichen durchgespült: mit Guinness-Bier oder irischem Whisky.

Die Erfahrung lehrt uns alle: Medizinische Hilfsmittel sind vor allem teuer, ohne uns den bestmöglichen Gebrauchswert zu garantieren. Dazu trägt bei, dass es oft Versicherungen sind, die sie bezahlen. Begeistert schwatzten sie mir in der Erstreha 1978 einen «Badesitz» auf. In Fällen wie meinem werde er neuerdings von der Invalidenversicherung (IV) übernommen.

Eingesetzt haben wir das schwergewichtige Ungetüm ein einziges Mal. Es war weder zweckmässig noch leicht bedienbar. Sein Preis verdoppelte sich, nachdem es die IV auf ihre Hilfsmittelliste genommen hatte.

Freude bereiten nur nützliche Güter – wie das Rutschtuch und die Tipphilfe

«Einfach und zweckmässig» sollen Hilfsmittel sein, sagen die Bestimmungen, an die sich die Mitarbeiter bei der IV zu halten haben. Dabei haben die Gesetzgeber vor allem ans Geld gedacht. Einfach, zweckmässig und nicht überteuert müssen freilich alle Güter sein. Sonst setzen sie sich in den Massenmärkten nicht durch. Die Hersteller riskieren sogar, dass sie der Konsumentenschutz anprangert, wenn sie mangelhafte Waren zu übersetzten Preisen verkaufen.

In den kleinen und engen Märkten für medizinische Hilfsmittel können wir uns darauf weniger verlassen. Wir sind den Produzenten ausgeliefert, müssen fast schon danken, dass sie überhaupt was liefern, selbst wenn es sich als kostspieliger Ramsch erweist.

Um nicht zu verzagen, muntere ich mich selbst und euch alle mit zwei guten Beispielen auf: Das Rutschtuch, auch Gleittuch genannt. Mit ihm gleite ich ins Bett und wieder raus. Der «Stütz-Transfer» gelingt mir nicht mehr, nachdem mir in der Schulter rechts vier Sehnen gerissen sind. Das einfachste und für mich zweckmässigste – «Piccolo» (60 x 41 Zentimeter gross) von Lagerungsmittel.com – kostete mich 37 Franken und befördert mich Tag für Tag in den Schlaf. Teurer, dafür noch effektiver sind die von Petermann. Orthotec vertreibt sie auch. Zu guter Letzt: Seit nunmehr 46 Jahren schreibe ich mit dieser Tipphilfe aus billigstem Plexiglas und einem weichen Rohrteilchen.

rutschtücher für den transfer

Rutschtücher sind einfach, zweckmässig und zudem billig. Das wollen wir.

 tetraplegiker fritz vischer beim transfer mit dem rutschtuch

Dank Rutschtuch komme ich leicht ins Bett und wieder raus.

tipphilfe für tetraplegiker

Simpel und nützlich: Dank der Tipphilfe habe ich’s bis zum Schriftsteller gebracht!

Weitere Lieferanten von guten Hilfsmitteln sind:

Zum Thema elektronische Hilfsmittel sei zudem dieser – schon etwas ältere – Artikel empfohlen, zum Thema Mode gibt es in diesem Blog diesen und diesen Artikel.

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