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Wissenschaft

Ernährungstipps und der «optimale Teller» bei Querschnittlähmung

Ausserdem: Wer hat ein Risiko für Mangelernährung? Wie verbreitet ist Vitamin-D-Mangel? Was wird bei Dekubitus empfohlen?

Ausserdem: Wer hat ein Risiko für Mangelernährung? Wie verbreitet ist Vitamin-D-Mangel? Was wird bei Dekubitus empfohlen?

Viel Protein, wenig Protein, mit Fleisch oder vegan, Verzicht auf Kohlenhydrate, mediterran, kein industrieller Zucker, Saftkuren… In der heutigen Flut von Ernährungstipps wissen viele gar nicht mehr, welche Ernährung zu einem passt, gesund hält und gut schmeckt. Findet Ihr Euch in diesem Dschungel noch zurecht?

Mit einer Querschnittlähmung erhält Ernährung nochmals eine andere Dimension: Ein Teilprojekt der SwiSCI-Studie zeigt, dass Menschen mit Querschnittlähmung häufig mangelernährt sind. Damit steigt nicht nur das Risiko für Erkrankungen, sondern auch für längere Intensivbehandlungen, mehr Beatmungstage und längere Spitalaufenthalte. Weiter unten erfahrt Ihr, wie Ihr Mangelernährung vorbeugen könnt.

Ausserdem in diesem Artikel:

  • Tipps für die Ernährung und den «optimalen Teller» bei Querschnittlähmung
  • Welche Ernährung wird bei Dekubitus empfohlen?
  • Fast alle Querschnittgelähmten haben Vitamin-D-Mangel – warum man ihn vermeiden sollte

Mangelernährung während der Erstrehabilitation – ein grosses Problem mit Langzeitfolgen

Eine (noch unveröffentlichte) SwiSCI-Studie zeigt, dass viele Menschen mit Querschnittlähmung ein erhöhtes Risiko für eine Mangelernährung haben. Dies manifestiert sich häufig bereits in der Erstrehabilitation.

Risikogruppen

Eine unzureichende Nährstoffversorgung ist unter Querschnittgelähmten ein sehr häufiges Phänomen. Oft steht dies im Zusammenhang mit der Rückenmarksverletzung selbst, denn durch sie hat der Körper einen erhöhten Bedarf an bestimmten Nährstoffen. Oftmals nehmen Betroffene nicht genügend auf, zum Beispiel aufgrund von Appetitlosigkeit, Schluckstörungen oder weil sie auf Hilfe bei der Essenseinnahme angewiesen sind. Dies führt zu einer Mangelernährung.

ernährungsberaterin beim patienten

Ernährungsberatung während der Erstrehabilitation im Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil

Die Studienautoren identifizierten folgende Personengruppen, die ein besonders hohes Risiko für Mangelernährung während der Erstrehabilitation entwickeln: Personen mit künstlicher Beatmung, Lungenentzündung, Dekubitus, und Personen, die nicht selbstständig essen können. Generell haben Tetraplegiker/-innen aufgrund der höheren Rückenmarksläsion ein grösseres Risiko für Mangelernährung als Paraplegiker/-innen.

«Oftmals deutet eine Gewichtsabnahme auf eine Mangelernährung hin. Aber auch Übergewicht, das unter Betroffenen weit verbreitet ist, kann mit einem Mangel an essentiellen Nährstoffen einhergehen. Dies wird leider oft nicht erkannt.»

Irène Flury, Ernährungsberaterin am SPZ und Autorin der Studie

irène flury

Diese Situation ist problematisch, weil Menschen mit Querschnittlähmung ein erhöhtes Risiko für verschiedene Erkrankungen haben. Durchschnittlich leidet jede querschnittgelähmte Person an 6-7 Begleiterkrankungen. Dazu gehören Störungen der Darmfunktion, Harnwegsinfektionen und Druckstellen. Genau diese Erkrankungen treten bei mangelernährten Personen noch häufiger auf.

Eine Mangelernährung kann aber auch als Folge einer Erkrankung – zum Beispiel eines Dekubitus – entstehen. Dies liegt zum einen am erhöhten Bedarf an Proteinen, zum anderen an der geringeren Zufuhr von Nährstoffen, weil Patienten in der Bettruhe oftmals keinen Appetit haben. 

Die Mangelernährung kann also Ursache wie auch Folge eines medizinischen Problems sein, und sie kommt bei unter- wie auch bei übergewichtigen Personen vor.

Empfehlungen für Betroffene zuhause

  • Regelmässiges Wiegen hilft, einen plötzlichen Gewichtsverlust zu erkennen
  • Arzt kontaktieren bei: anhaltender Appetitlosigkeit, ungewolltem Gewichtsverlust, sehr einseitigen Essgewohnheiten
  • Individuell kritische Nährstoffe regelmässig beim Hausarzt kontrollieren lassen, z. B. Vitamin D oder B12 im Falle einer veganen oder vegetarischen Ernährung
  • Auf die regelmässige Einnahme von Supplementen achten, wenn diese vom Arzt verordnet werden
  • Bewusstsein schärfen für den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit – insbesondere mit steigendem Alter
  • Einseitige Diäten, Saftkuren oder längeres Fasten können sich nachteilig auf die Gesundheit auswirken; stattdessen lieber professionelle Ernährungsberatung konsultieren.

Suchst Du eine Ernährungsberatung?

Besprich dies zunächst mit Deinem Hausarzt oder Paraplegiologen (für eine Verordnung) und kläre die Kostenübernahme mit der Krankenkasse ab.

Themen wie Übergewicht, Unverträglichkeiten oder Nahrungsmittelallergien kann man mit einer Beratungsperson besprechen, die nicht im querschnitt-spezifischen Bereich arbeitet. Beim Schweizerischen Verband der Ernährungsberater*innen SVDE kannst Du eine wohnortnahe Beratung suchen.

Speziell für Betroffene bietet das SPZ Ernährungsberatungen im ambulanten Bereich an. Ab Februar 2022 wird zusätzlich eine Darmsprechstunde eingeführt. Auch im Rehab Basel und in der Rehabilitationsklinik Sion können sich Querschnittgelähmte ambulant in Ernährungsfragen beraten lassen.

Tipps zur Ernährung bei Querschnittlähmung

Die Ernährung spielt nicht nur eine grosse Rolle für unsere Gesundheit generell, sondern beeinflusst das Darmmanagement, die Wundheilung und die Entstehung von Infektionen. Was sind die wichtigsten Bausteine einer guten Ernährung?

mann im rollstuhl beim kochen

Für Menschen mit Querschnittlähmung ist eine gesunde und ausgewogene Ernährung besonders wichtig.

Ernährung individuell anpassen

Die meisten Betroffenen sind körperlich weniger aktiv als vor der Querschnittlähmung. Sie verbrauchen deshalb weniger Energie – dies sollte mit einer entsprechend reduzierten Kalorienaufnahme einhergehen. Zugleich ist eine hohe Zufuhr an Mikronährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen wichtig. Ideal ist also eine Ernährung, die energiereduziert, aber nährstoffreich ist – und zugleich an den individuellen Bedarf der Person angepasst ist.

Es gibt weitere Gründe, die eine Anpassung der Ernährungsgewohnheiten bei Querschnittlähmung notwendig machen:

  • Die Körperzusammensetzung verschiebt sich: weniger Muskel-, dafür mehr Fettanteile. Dies hat einen geringeren Grundumsatz zur Folge, führt schneller zu Übergewicht und erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes.
  • Darmfunktionsstörungen mit erhöhtem Risiko für Verstopfung und Inkontinenz, aber auch Blähungen und Völlegefühl
  • Erhöhte Neigung zu Harnwegsinfektionen
  • Erhöhtes Risiko für Dekubitus und Wundheilungsstörungen

Wer häufig unter diesen Problemen leidet oder sich sehr einseitig ernährt, übergewichtig oder untergewichtig ist, sollte eine Ernährungsberatung in Erwägung ziehen.

Der optimale Teller – Zusammenstellung der Mahlzeiten für Menschen mit Querschnittlähmung

Der «optimale Teller» zeigt einerseits die Lebensmittel, aus denen sich eine vollständige Mahlzeit zusammensetzt. Andererseits stellt er das Verhältnis dar, in denen jedes dieser Lebensmittel auf den Teller kommen sollte, damit die Mahlzeit ausgewogen ist. Der Teller berücksichtigt den reduzierten Energiebedarf, den die meisten Menschen im Rollstuhl aufgrund ihrer geringeren körperlichen Aktivität haben (< 1800 kcal/Tag).

optimaler teller bei querschnittlähmung

Die Proportionen basieren auf den Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) speziell für Personen mit reduziertem Energiebedarf. Der Unterschied zum «Standardteller» besteht in der Reduktion der stärkehaltigen Lebensmittel (Kohlenhydrate), weil diese vorrangig als Energielieferanten dienen. Mit der Erhöhung des Gemüseanteils wird der geringere Anteil an Kohlenhydraten kompensiert. Der Proteinanteil bleibt jedoch gleich.

Ernährungsempfehlungen bei Dekubitus

Eine ausgewogene Ernährung verhindert die Entstehung eines Dekubitus nicht, aber sie beeinflusst die Risikofaktoren für dessen Entstehung, wie z. B. einen schlechten Hautzustand, Mangelernährung oder die Mobilität.

Ein guter Ernährungszustand spielt bei der Förderung der Wundheilung eine zentrale Rolle, denn der Bedarf an bestimmten Nährstoffen ist in der Heilungsphase erhöht. Deshalb gelten folgende Empfehlungen:

  • Ausreichend Energie und Proteine aufnehmen: Der Energiebedarf ist während eines Dekubitus leicht erhöht, der Proteinbedarf ist je nach Grösse der Wunde stark erhöht
  • Gewicht stabilisieren: keine Diäten bei fragilen Hautverhältnissen durchführen, Gewichtsabnahme in dieser Zeit vermeiden
  • Ausreichend trinken
  • Auf ausreichende Deckung von Mikro- und Makronährstoffen achten, die bei der Heilung eines Dekubitus besonders wichtig sind
  • Ernährung gegebenenfalls mit Mikronährstoffen über Supplemente ergänzen

Dies sind die wichtigsten Nährstoffe, die der Körper während eines Dekubitus benötigt:

  • Vitamin C – frische Früchte, Gemüse, Kartoffeln
  • Vitamin K – Blattsalate, Spinat, Kohl, Petersilie, Avocado
  • Vitamin E – Nüsse, Vollkorn, Pflanzenöle
  • Vitamin D – Eigenproduktion im Körper mit Hilfe des Sonnenlichts
  • Zink – Fleisch, Fisch, Nüsse, Getreide, Hülsenfrüchte
  • Eisen – Fleisch, Haferflocken, Weizenkleie, Hülsenfrüchte, Kürbiskerne, Quinoa, Sesam

Das «Netzwerk Ernährung Querschnittgelähmter» hat eine detaillierte Broschüre mit Ernährungsempfehlungen für Menschen mit Querschnittlähmung entwickelt. Diese kann hier online eingesehen und heruntergeladen werden.

Das Beispiel Vitamin D: Fast alle haben einen Mangel

Unter Querschnittgelähmten ist Vitamin-D-Mangel weit verbreitet: Studien sprechen von bis zu 93 % aller Betroffenen, deren Vitamin-D-Status zu gering ist. Demgegenüber stehen etwa 40 % in der Gesamtbevölkerung. Warum das so ist, ob und in welcher Dosierung eine Supplementierung für Querschnittgelähmte sinnvoll ist, wird aktuell in einer Studie am Schweizer Paraplegiker-Zentrum erforscht.

sonne

Das «Sonnenhormon»: Warum brauchen wir Vitamin D?

Eigentlich ist Vitamin D gar kein Vitamin. Die Substanz ähnelt eher einem Hormon, das vom Körper selbst hergestellt wird – aber hauptsächlich nur mithilfe des Sonnenlichts. Zu einem geringen Teil kann es auch aus tierischen Quellen gewonnen werden, zum Beispiel durch den Verzehr fetthaltiger Fische wie Lachs, Hering oder Makrele.

Dank Vitamin D kann unser Körper Kalzium aus Lebensmitteln aufnehmen. Das härtet Knochen und Zähne. Außerdem beeinflusst es unser Immunsystem und die Muskelkraft und es spielt eine wichtige Rolle bei Stoffwechselvorgängen. Ein Mangel kann beispielsweise dazu führen, dass die Knochendichte abnimmt, Schmerzen entstehen und die Muskeln an Kraft verlieren. Bei Menschen mit einer Querschnittlähmung ist ein Mangel ausserdem mit Atemproblemen, vermehrten Infektionen, Druckstellen, Depressionen und einer geringeren körperlichen Funktionsfähigkeit verbunden – genügend Gründe also, diesen Mangel langfristig zu beheben.

Dazu ist es hilfreich, den Vitamin-D-Status 1-2 Mal pro Jahr beim Hausarzt oder beim Paraplegiologen testen zu lassen. Der Arzt wird dann auf Basis des Status ggf. ein Supplement verschreiben. Dessen Dosierung richtet sich aber derzeit noch nach den Empfehlungen für Menschen ohne Querschnittlähmung. Der Grund: Es gibt kaum wissenschaftsbasierte Erkenntnisse zur optimalen Dosierung von Vitamin-D-Supplementen für Menschen mit Querschnittlähmung. Hilf mit, das zu ändern!

Studienteilnehmer/-innen gesucht!

Um vertiefte Erkenntnisse zur Vitamin-D-Supplementierung im ausserklinischen Bereich zu erhalten, suchen wir interessierte Studienteilnehmer*innen, deren Querschnitt-Diagnose mindestens drei Jahre zurückliegt, und deren Läsionshöhe unterhalb C4 ist. In der Studie wird der Einfluss einer 12-monatigen Supplementierung untersucht.

Hilf mit herauszufinden, wie ein Vitamin-D-Mangel zukünftig besser behandelt werden kann! Als Dank stellen wir Dir Deine individuellen Studienresultate zusammen, damit Du Deinen Vitamin-D-Haushalt zukünftig optimieren kannst.

Mehr Informationen bei Studienleiterin Anneke Hertig Godeschalk: anneke.hertig@sportmedizin-nottwil.ch.

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